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Den eigenen Körper lieben – geht das? Und muss man das überhaupt?

„Ich will so bleiben wie ich bin“, sang eine Stimme in der Werbung. Es war irgendwann in den 90ern, schätze ich. Eine Frau lief selbstbewusst durch die Straßen, betrachtete wohlwollend ihr Spiegelbild in einem Schaufenster und sah ziemlich zufrieden aus. Sie entsprach in jeder Hinsicht dem Schönheitsideal. Die Werbung drehte sich ironischerweise um besonders kalorien- bzw. fettarme Produkte von „Du darfst“. Was ich als kleines Mädchen daraus gelernt habe? Nur Frauen, die dem Schönheitsideal entsprechen, wollen so bleiben, wie sie sind. „Du darfst“ magere und gesunde Dinge essen. Das impliziert auch: Du darfst nicht zu fetter Butter, Schokolade und zuckerhaltigem Gedöns greifen, sonst passt du weder in die schicke Jeans noch in die Erwartungshaltung, die die Gesellschaft an dich hat.

Kontrolle als Normalität – schon in der Kindheit

Ich war als Kleinkind nie sonderlich schlank. Als Teenager war ich zwar nicht dick, aber auch nicht dünn. Ich begann mit dem Joggen, um abzunehmen, und kontrollierte meine Kalorienzufuhr, um besser auszusehen. Ich war weder magersüchtig noch hatte ich Bulimie, das lag mir fern. Ich aß gern, ich aß auch mal Süßes, ich hatte Spaß am Kochen. Aber ich kontrollierte eben immer, was ich aß. Und wenn ich in der Schule schon ein paar Weingummis genascht hatte, gab es nachmittags eben keinen Keks mehr. Wenn ich mittags Spaghetti gegessen hatte, gab es abends manchmal nur einen Rohkost-Teller. Ich hätte nie mehr als ein Stück Kuchen gegessen. Es funktionierte. Ich nahm ab, entsprach dem Idealbild. Es war einfacher.

 

Für viele Frauen ist das leider ein völlig normaler Umgang mit Nahrung. Sie reden sich ein, einfach nur ein wenig „drauf zu achten“. Dabei haben sie völlig verlernt, auf sich selbst zu hören, Hungergefühle zu erkennen, Bedürfnisse des Körpers zu erfüllen. Wir essen mit dem Kopf, nicht mit dem Bauch. Kontrolliertes Essen ist zur Normalität geworden. Und dann meldet sich der Bauch irgendwann so laut, dass wir unkontrolliert Pizza und Eis reinschieben, das ganze Cheat Day nennen, und mit Bauchschmerzen und einem schlechten Gewissen kämpfen. „Wenn ich esse, was ich will, also ‚normal‘ esse, ist das also auch nicht gut“, resümieren wir dann. Was für ein Schwachsinn. Denn weder unkontrolliertes Stopfen noch kontrollierte Kalorienzufuhr sind normal. Viele von uns haben verlernt, was normal ist.

Den eigenen Körper lieben – geht das?

In dem Podcast „In 15 Minuten aus dem Mamsterrad“ ging es in der letzten Folge darum, zu lernen, den eigenen Körper zu lieben. Die Ratschläge sind eigentlich ganz simpel: Man sollte sich auf die eigenen Stärken konzentrieren, nicht auf die Schwächen, und keiner von uns sollte Perfektion anstreben, sonst werden wir zu Robotern. Doch das ist so, so, so schwierig umzusetzen. Das kennt man doch aus anderen Situationen: Wenn man 20 positive, wohlwollende Bewertungen/Kommentare bekommt, aber eine einzige kritische Stimme dabei ist, dann überhören wir die 20 Komplimente und sind fokussiert auf die Kritik. Und so läuft es doch auch beim Blick in den Spiegel. Ganz vieles ist okay, aber diese eine Sache stört. Manchmal ist es der Pickel auf dem Kinn, das Speckröllchen am Bauch, der flache Po, die dünnen Haare, manchmal nur die Zahl auf der Waage. Außer unserem inneren Kritiker fällt das wahrscheinlich kaum jemandem auf. Und dennoch kann einem sowas wirklich die Laune vermiesen. Und ja, das kann man rational besser wissen. Aber die Sozialisation, der gesellschaftliche Druck und unsere kindliche Prägung, all das können wir nicht einfach durch ein paar rationale, vernünftige Gedanken abstreifen. Das sitzt tief.

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Ich habe vorgestern bei Instagram einen Graphen geteilt und gefragt, was dort zu sehen ist. Wehen? Aktienkurse? Die zwei Wellen der Corona-Infektionen? Nein, es war mein Gewicht von 2018 bis 2020. Zwei heftige Peaks nach oben – zwei Schwangerschaften. Ich wollte damit keinesfalls vermitteln, dass eine Gewichtskontrolle wichtig ist, diese Message soll nicht falsch rüberkommen. Was ich damit eher zeigen wollte: Der Körper macht echt was mit, wenn man ein Kind bekommt. 10, 15 oder 20 Kilo rauf und runter innerhalb kürzester Zeit, das ist nicht ohne. Von dem Hormonchaos mal ganz abgesehen. Wenn mich mein Baby tritt und mir die Luft kurz wegbleibt, denke ich: Wie krass, dass das überhaupt passt. Kein Wunder, dass die Lunge da mal was abbekommt. Mein Bauch ist doch ohne Baby auch gefüllt mit meinen Organen. Aber es ist möglich, dass Platz gemacht wird für ein 50-55 cm großes, 3-4 Kilo schweres Wesen, plus Fruchtwasser, plus Plazenta. Unfassbar. Ey, wir Frauen können ein GEHIRN bauen. Ein Gehirn! Dieses Ding, was keiner von uns versteht, entsteht gerade in meinem Körper. Und ein kompletter Organismus, der dann auch unabhängig von meinem funktioniert. Der Körper sagt irgendwann: Ping, fertig! Raus mit dem Ding! Und zack, ist da ein neuer Mensch. Dieses „Wunder des Lebens“, wenn man es so pathetisch ausdrücken will, hat meinen Blick auf meinen Körper völlig verändert.

 

Ich bin nachsichtiger. Ich lasse los. Ich kontrolliere nicht mehr so viel. Ich vertraue mehr. Ich höre mehr auf die Signale meines Körpers. Ich verstehe mehr. Ich weiß, dass es Phasen gibt, in denen ich mehr und weniger wiege, dass das egal ist und nichts mit meinem Wert zu tun hat. (Wenn man vor Kurzem noch 11 Kilo weniger auf der Waage hatte, relativiert sich diese Zahl irgendwie.) Ich hoffe, dass auch kinderlose Frauen diese Erkenntnis irgendwann ereilt: Der Körper ist ein Wunderwerk. Egal, ob man nun Kinder bekommt oder nicht. Ich habe diesen Anstoß der Schwangerschaften gebraucht, um zu kapieren, dass mein Körper nicht (nur) dafür da ist, um zu gefallen, sondern um zu funktionieren. Nicht nur in der Schwangerschaft.

 

Meine Beine sind nicht dafür da, um dellenfrei in kurzen Röcken toll auszusehen, sondern um mich durch mein Leben zu tragen, Treppen zu steigen, zu wandern, spazieren zu gehen, mich aus der Hocke hochzudrücken. Die machen das verdammt gut, seit Jahren. Ist doch egal, wenn da mal eine Delle drauf ist. Sie machen einen guten Job. Und je länger das so ist, desto egaler wird mir, was andere denken oder sagen.

Wir können unsere Sozialisation nicht einfach abstreifen

Natürlich unterliege ich trotzdem dem Druck, gefallen zu wollen. Auch feministisch denkende Frauen sollten sich nicht darüber lustig machen, wenn man Schönheitsidealen nacheifert. Auch ich genieße es, Komplimente für meine Figur zu bekommen. Auch ich hadere mit den Pfunden, die vielleicht nach der Schwangerschaft übrigbleiben. Auch ich finde mich am attraktivsten, wenn ich perfekt geföhnt, perfekt geschminkt, trainiert aber nicht zu muskulös, schlank und in einem tollen Kleid vor dem Spiegel stehe. Das kann ich nicht einfach ablegen.

 

Zudem wird auch immer wieder thematisiert, dass es ein feministischer Akt sein kann, seinen Körper selbst zu formen. Es gibt feministische Vordenkerinnen, die sich extrem stylen und Schönheits-OPs unterziehen. My body, my choice. Dazu habe ich noch keine feste Meinung. Denn einerseits denke ich: True Story! Wieso sollte der Wunsch nach Weiblichkeit etwas Schlechtes sein? Nur weil man gern große Brüste, einen runden Po und ein tolles Make-up haben will, ist man doch nicht dümmer, weniger wert oder sonstwas. Auch eine intelligente Frau darf einen Faible für Nagellack oder künstliche Wimpern haben. Eine Brust-OP kann ein Akt der Selbstbefreiung sein. Es ist ein großartiges Gefühl, den eigenen Körper nach den eigenen Vorstellungen zu formen, zu verändern und ich würde mir nie rausnehmen, das zu verurteilen. Ich kenne das selbst: Wenn ich morgens nach dem Schminken nicht mehr wie ein verschlafener Waschbär aussehe, geht's mir auch besser. Aber dennoch möchte ich die Frage stellen: Woher kommen denn diese Vorstellungen? Wieso sind es eben meistens die schmalen Taillen, die großen Brüste und die glatte Haut, die angestrebt werden? Wieso sollen die Augen möglichst groß wirken – Stichwort Kindchenschema? Wieso malen wir uns die Lippen rot an und drücken unsere Brüste in Form? Ist das nicht der männliche dominierte Blick einer patriarchalischen Gesellschaft, der diese Wünsche formt? Woher wissen wir eigentlich, welche Schönheitsideale aus uns selbst kommen und welche uns von außen oktroyiert werden? Wie gesagt, ich habe dazu noch keinen klaren Standpunkt und sitze definitiv im Glashaus. Ich gebe nur Gedankenanstöße.

 

„Unsere sexistische Sozialisierung hält uns effektiv davon ab, frei zu entscheiden, was wir tun möchten“, schreibt Teresa Bücker in ihrer aktuellen SZ-Kolumne rund um das Thema Mental Load. Und diese Aussage trifft auf viele Kontexte zu. Auch auf das Selbstbild. Wir können nicht von heute auf morgen sagen: „So, ab heute liebe ich meinen Körper, egal, wie er aussieht.“ Wir haben Jahrzehnte lang gelernt, uns kritisch zu betrachten, uns an surrealen Idealen zu orientieren, ständig jung und fit sein zu wollen.

Manchmal lieb ich meinen Körper, manchmal nicht

Mir haben die Schwangerschaften dabei geholfen, zumindest zeitweise aus dem Teufelskreis der Selbstoptimierung auszubrechen und einen realistischeren Blick zu bekommen. Denn wenn man hochschwanger ist, ist von dem sexy Idealbild eh nicht mehr viel übrig. Schwangere Frauen sind wunderschön – aber auf eine ganz andere Weise. Sie sind schön, weil sie Leben formen. Aber der Körper wird „funktionaler“ und bekommt eine neue Dimension (im wörtlichen und metaphorischen Sinne). Ich fand das heilsam. Denn in diesen Zeiten kann man sowieso nichts ändern. Selbst wenn ich Kohlenhydrate reduziere, nehme ich zu. Also esse ich doch einfach das, was mir gut tut. Und zumindest habe ich versucht, das nach der ersten Schwangerschaft beizubehalten. Es ist erholsam, sich nicht auch noch darum ständig Gedanken zu machen. Und man lernt die Bedürfnisse des Körpers besser kennen. Ja, manchmal hat man wirklich Bock auf einen Apfel oder einen großen Teller Salat.

 

Ich bin keine Verfechterin des Body Positivity Trends. Body Neutrality ist eher meins. Es ist halt mein Körper. Mal ist er ansehnlicher, mal nicht so. Mal lieb ich ihn sehr, mal nicht so. Mal tut er, was ich will, dann wieder nicht und braucht mehr Zuwendung. Das ist okay. Aber gesund und einigermaßen schmerzfrei durchs Leben gehen zu dürfen ist ein unfassbares Privileg. Mein Körper und ich haben eine Beziehung zueinander wie in einer guten Ehe: Es gibt gute und schlechte Tage, aber grundsätzlich bin ich sehr zufrieden mit dem, was ich hab.

 

P.S.: Ich behandle in diesem Text nur „Körperformen“. Ich weiß, dass es noch viiiiel mehr Themen rund ums Thema Körperbild/Selbstbild/Selbstliebe gibt: Körperbehaarung, Transgender, Hautfarbe, Krankheiten, Behinderungen, psychische Krankheiten, usw. Ich habe mich bewusst einem cis-Frauen-08/15-Problemchen gewidmet, mit dem sich vermutlich dennoch viele identifizieren können.

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