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Gleichstellung erreicht! Oder?

Kürzlich war ich auf einem Treffen eines Frauennetzwerks und stand neben zwei jungen Frauen, die sich unterhielten. Die eine arbeitete in dem Verlagshaus Gruner + Jahr. Es gab mal ein unternehmensinternes Frauennetzwerk dort, erzählte sie. „Toll“, sagte die andere, „was genau ist das für ein Netzwerk?“

Die G+J-Mitarbeiterin erklärte, dass dieses inzwischen aufgelöst wurde, da alle Ziele erreicht wurden. Das Verlaghaus setzt sich sehr für Gleichstellung ein, Führungspositionen sind ausgeglichen verteilt, Julia Jäkel ist CEO und auch ich war zwei Jahre dort angestellt und kann bestätigen, dass ich das Gefühl hatte, dass die Arbeit von Männern und Frauen gleichermaßen geschätzt wird.

Die Reaktion der anderen Frau auf die Auflösung des Frauennetzwerks war anders als erwartet. Sie bejubelte nicht die Gleichstellung, gratulierte nicht zu diesem wichtigen Unternehmensschritt. Sie sagte: „Ach, das ist ja schade.“

Keine Statistiken, nur Erlebnisse

Ich habe mich gefragt, wieso sie das gesagt hat. Und ich glaube, eine Antwort gefunden zu haben. Es kann sein, dass eine Gleichstellung in gewissen Lebensbereichen erreicht wird. Vielleicht verdienen Mann und Frau irgendwann wirklich gleich viel. Vielleicht sind Führungspositionen irgendwann 50/50 von Männern und Frauen besetzt. Vielleicht nehmen Männer und Frauen gleich viel Elternzeit. Und dann gehen die harten Fakten aus.

Was dann bleibt, sind nur noch Erfahrungen, die Frauen im Alltag machen. Begrabscht werden, herablassende Kommentare ertragen. Pfiffe, Angebaggere, aber auch Beschimpfungen sind für viele Frauen an der Tagesordnung. Immer neue Hashtags führen dazu, dass Frauen in den sozialen Medien veröffentlichen, welche sexuelle Belästigung sie erlebt haben. Erst #aufschrei, dann #ausnahmslos, dann #imzugpassiert, jetzt weltweit #metoo. Frauen erzählen, wie Männer neben ihnen in der Bahn masturbiert haben. Wie ihnen fremde Männer unerwartet die Zunge in den Hals gesteckt haben. Und wer auch „Hey Süße“-Rufe nicht reagiert, bekommt schnell mal ein „Du Hure“ an den Kopf geworfen.

Aber das sind keine messbaren Fakten. Keine klaren Statistiken. Das sind nur Erlebnisse und Dunkelziffern.

Der Austausch hilft

Vielleicht fand die Personalerin es deshalb „schade“, dass sich das unternehmenseigene Netzwerk selbst überflüssig gemacht hat. Nicht, weil es so nett ist, mit den Damen Prosecco zu trinken und ein bisschen Girlpower zu zelebrieren, was jetzt manch einer im ersten Moment vermuten würde. Sondern weil man unter Gleichgesinnten ist, die jeden Tag mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Weil es um mehr als nur Karriere-Themen geht. Weil sie wissen, wie es sich anfühlt, sich im einen Moment selbstbewusst und erfolgreich zu fühlen, und dann im nächsten Moment mitzukriegen, wie eine Männergruppe in der Bahn laut, beleidigend und abwertend über Frauen herzieht – und nebenstehende Frauen naiv über die Sprüche kichern. Deshalb sind diese „Mädelsabende“, so blöd dieses Wort auch klingt, wichtig und richtig. Und deshalb reicht es nicht, nur auf Statistiken zu gucken. Denn Gleichberechtigung bedeutet einerseits, dass Frauen die gleichen Karrierechancen haben, andererseits aber auch, dass sie ohne sexistische Belästigungen, sei es physisch oder verbal, durch ihren Alltag gehen können.

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