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Wieso ist Selbstfürsorge so schwierig?

„Du musst nicht immer alles schaffen“, sagte mein Mann neulich zu mir. Und ich musste heulen. Weil er recht hat. Weil ich das doch eigentlich weiß. Und weil ich trotzdem viel zu selten auf mich selbst höre.

Auftrag erledigen, Rechnungen schreiben, Akquise, Bäder putzen, Einkauf, Geschenke für Weihnachten überlegen & bestellen, Unterlagen abheften, Bilder bestellen und aufhängen, Rechnungen bezahlen, Hochzeitseinladungen gestalten, Blogtext schreiben und, und, und. Vielleicht dann noch 20 Minuten Yoga. Wenn es passt. Tut es aber fast nie. Ich lebe leider immer noch nach dem Motto: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Dabei wäre es andersrum viel sinnvoller. Wer zuerst für sich selbst sorgt, also beispielsweise morgens Sport treibt, meditiert, in Ruhe duscht, einen Tee trinkt, ohne dabei aufs Handy zu schauen, und etwas Zeitung liest, der ist gewappnet für all das, was der Tag bringt. Ich könnte das genauso machen. Wieso tue ich es nicht?

Wir hören weg, wenn der Körper Hilfe braucht

Ich glaube, dass tief in mir der Leistungsdruck verankert ist. Und ich vermute, dass es vielen Frauen so geht. Viel zu viel „Ich muss noch“, viel zu wenig „Ich will erstmal“. Wir hetzen durch das Leben, wollen alles perfekt, ordentlich, sauber und rein haben. Je chaotischer unser Inneres, desto mehr streben wir nach einem aufgeräumten Umfeld. Chaos innen und außen wäre zu viel. Das Äußere lässt sich leichter beheben. Wir wirbeln herum, machen, rennen, erledigen, waschen, putzen, hetzen, fahren, kaufen, haken ab. Und irgendwann ist Schluss. Wenn es gut läuft, fallen wir abends auf’s Sofa. Wenn es schlecht läuft, werden wir krank. Körperlich oder psychisch. (Irgendwie bedingt das eine sowieso das andere.) Und selbst mit einer dicken Erkältung meinen wir, die Küche noch aufräumen zu müssen. Ist doch nur eine Erkältung, sagen wir dann. Wir kümmern uns sofort, wenn unser Kind weint, aber hören weg, wenn unser Körper Hilfe braucht.

Hauptsache, mir geht es gut

Ich kenne einige Frauen, die es ziemlich gut hinkriegen, auf sich selbst zu achten. Das bewundere ich. „Das Wichtigste ist, dass es mir gut geht“, sagte neulich eine Freundin zu mir, die frisch gebackene Mutter ist. Sie hat natürlich Recht. Nur als gesunde, glückliche Frau kann man auch eine entspannte Mutter sein. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, so einen Satz zu sagen. „Hauptsache, dem Kind geht es gut“, wäre mein Satz gewesen. Ich glaube, so wie mir geht es nach wie vor vielen. Wir stellen unser Wohl zurück, damit es anderen gut geht. Dabei hat meine Freundin Recht. Das eigene Gefühl ist die Basis von allem. Wenn man fest auf beiden Beinen steht, zufrieden mit sich selbst, gesund und einigermaßen ausgeruht ist, dann haut einen so schnell nichts um. Wenn man sich selbst ständig zurückstellt, fühlt sich das Nervenkostüm an wie ein Kartenhaus, das beim kleinsten Windstoß zusammenklappt.

Neue Gewohnheiten etablieren

Wie schafft man es, sich umzuprogrammieren? Wie schafft man es, mehr Selbstfürsorge ins Leben zu bringen? Wie schafft man es überhaupt, die eigenen Bedürfnisse wieder kennenzulernen? Ich finde diese Umstellung unglaublich schwierig. Wenn ich mir Yoga und Meditation auf die To Do Liste schreibe, habe ich das Gefühl, noch mehr zu tun zu haben. Selfcare als Stressfaktor, das ist nicht Sinn der Sache. Ich glaube, jeder muss seinen eigenen Weg finden – da hilft nur Ausprobieren. Da ich viel zuhause bin, ist es beispielsweise eher ein Ausflug in die Stadt, der mir Energie gibt. Mehr als eine Stunde in der Badewanne. Ich sollte also häufiger in die Stadt fahren. Einfach so. Wisst ihr was? Das mach ich direkt diese Woche noch.

Und ja, Sport. Sport hilft. Da gilt vermutlich: einfach machen und spüren, wie gut es tut. Immer wieder. Bis es im Kopf ankommt, dass das wichtiger ist als alles andere.

Übrigens: Auch zwei Stunden Nachmittagsprogramm im Fernsehen schauen, Werbeprospekte durchblättern, Kekse backen, Party machen, bummeln gehen oder Fingernägel lackieren können Entspannung sein. Yoga und Meditation sind zwar gerade total angesagt, ich glaube aber, dass jeder seine ganz eigene Methode finden sollte, den Kopf freizukriegen. Manchmal hat man heutzutage den Eindruck, dass man sich direkt in der Burnout-Klinik anmelden sollte, wenn man nicht gern meditiert. Bullshit. Es geht nicht darum, Trends mitzumachen, sondern darum, seinen eigenen Ausgleich zu finden.

Das innere Chaos besiegen

 

Ich glaube fest daran, dass man mit ungeputzten Bädern, unaufgeräumten Wohnzimmern und wochenlang herumstehenden Wäscheständern leben kann. Unterlagen kann man auch kurz vor der Steuererklärung noch sortieren und als Selbstständige kann ich meine Aufträge auch erst ab 10 Uhr anpacken. Und Bilder müssen auch 1,5 Jahre nach Umzug noch nicht alle hängen. Das geht alles. Das äußere Chaos ist halb so wild, wenn man innerlich geordnet ist und auf sich selbst hört. „Selfcare“ ist meine größte Herausforderung 2020. Macht ihr mit?

P.S.: Für mich heißt Selbstfürsorge nicht, immer gut drauf zu sein. Hier habe ich über das Selfcare-bla-bla geschrieben, das mich manchmal ziemlich ankotzt. Weil man eben auch mal schlecht drauf ist und manche Situationen keine Frage der inneren Einstellung sind. Aber: Auch in dieser schlechten Laune sollte man drauf hören, was jetzt gut tut. Schimpfen? Schlafen? Netflix? Auspowern? Alles ist erlaubt. Es geht darum, seine innere Stimme nicht zu ignorieren und nicht ständig das Gefühl haben zu müssen, nur durchs Leben zu hetzen.

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