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Versuch einer Tugend: Die (Un-)Geduld und ich

Ich bekomme Schweißausbrüche, wenn ich vor mir an der Kasse jemand trödelt und noch ein Schwätzchen hält. Wenn ich eine Idee oder einen Plan habe, will ich sie sofort umsetzen, nicht morgen, nicht in drei Stunden, JETZT. Wenn ich Hunger habe, nehme ich, was ich kriegen kann, statt stundenlang auf mein Lieblingsessen zu warten. Wenn der Pizza-Lieferdienst nach 50 Minuten immer noch nicht da war, rufe ich völlig genervt an. Ja, ich bin ungeduldig.

Just do it? Ungeduld hat nicht nur Vorteile

Manchmal ist meine Ungeduld lustig, manchmal liebenswert, manchmal komme ich damit schneller ans Ziel. Ich zerdenke nicht, ich komme schnell ins Handeln. Better done than perfect. Rausgehen, bevor ich fertig gedacht habe. Sprechen, bevor ich weiß, was ich eigentlich sagen will. Damit landet man manchmal einen Volltreffer – schneller als alle anderen. Ich könnte jetzt einen Text schreiben, in dem es darum geht, dass Impulsivität und Ungeduld viele Vorteile haben. Tu ich aber nicht. Denn ich versuche, einen langen Atem zu trainieren. Mich in Geduld, Gelassenheit und Achtsamkeit zu üben. (Klappt so mittel.)
Ich bin oft meinen Impulsen und spontanen „Bock drauf“-Gefühlen gefolgt. Das hat manchmal, dankenswerterweise sogar recht häufig, aber eben nicht immer funktioniert. Ich bin auf die Nase gefallen, habe Kritik einstecken müssen und hinterher gemerkt: Ich hätte mir mehr Zeit lassen sollen, mit mehr Menschen sprechen sollen, Dinge mehr sacken lassen sollen. Manche (selbst-)kritischen Gedanken kommen erst nach Tagen, Wochen, Monaten oder gar Jahren. Natürlich ist übertriebener Perfektionismus oft hinderlich, doch ein gewisses Maß an Offenheit für Gegenmeinungen (von außen wie von innen gleichermaßen) ist meiner Meinung nach wichtig. Diese Offenheit geht bei zu ungeduldigen Handlungen manchmal verloren.

Kinder zwingen zur Geduld

Neben diesen Erfahrungen habe ich auch zwei kleine Menschlein in meinem Leben, die mir sowieso ständig zeigen, dass ich mit Ungeduld nicht weit komme. Zum einen entscheiden sie, wo es langgeht. Eine volle Windel geht vor. Kita-Schluss ist nicht verhandelbar, auch wenn da gerade noch dieser geniale Dialog für einen Roman in meinem Kopf ist und dringend zu Papier gebracht werden müsste, es geht dann einfach nicht. Und „Das hast du aber versprochen“ muss erfüllt werden, klar. Zum anderen muss man Kindern alles ungefähr drölfzigtausendmal erklären, bis sie es wirklich verinnerlichen – Stichwort: Lernen durch Wiederholung. Und ja, natürlich habe ich den Impuls, zu schreien, wenn ich jeden Morgen und jeden Abend das gleiche sagen muss und selbst müde bin. Manchmal geht es auch nicht anders, dann muss die Emotion raus. Aber rational weiß ich: Das bringt wenig. Geduld is the key.

Heilung braucht Zeit

Doch wie programmiere ich mein ungeduldiges Hirn um? Wie lerne ich Gelassenheit und Geduld? Und wie geht das bitte SO SCHNELL WIE MÖGLICH? Kleiner Scherz.

 

Ich wurde nach der Geburt meiner Kinder körperlich zu mehr Geduld gezwungen. Nach meiner zweiten Geburt sagte mir eine Ärztin, dass die Rückbildung nach dem zweiten Kind länger dauere, „Das kann bis zu zwei Jahre dauern“, sagte sie. Zwei! Jahre! Was ist das für eine unfassbar lange Zeitspanne, hömma? Ich bin schon nach sieben Tagen im Wochenbett nervös geworden, wollte endlich lange Spaziergänge machen, rausgehen, etwas erleben. Doch wenn ich es probiert habe, habe ich gemerkt: Verdammt. Egal, was mein Kopf hier gerade will – es geht einfach noch nicht. Also habe ich es gelassen und gemerkt: Eigentlich ist es ganz schön, diese andere Phase anzunehmen. Mal nicht zu leisten, mal nicht so Gas zu geben, wie sonst. Es kann gut tun, sich Zeit zu geben. Es kann sich sogar nach einem Privileg anfühlen, den Druck rauszunehmen. Heilung braucht Zeit. In diesem Falle die körperliche Heilung. Doch mehr und mehr wurde mir bewusst, dass auch die seelische Heilung keine Motivations- und Zaubersprüche braucht, sondern vor allem eins: Zeit und Geduld.

Akzeptanz: Es ist, wie es ist

Ich glaube, dass Geduld viel mit Akzeptanz und Achtsamkeit zu tun hat. Wenn etwas nicht sofort so läuft, wie man es sich wünschen würde, sind wir im ersten Moment genervt, empört, wütend oder traurig. „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ wollten wir doch. Stattdessen kommt alles anders und irgendwie läuft es nicht so, wie geplant. Manchmal sind andere Menschen „schuld“, manchmal das System, in dem wir leben, oder das eigene Leben, das nun andere Prioritäten erfordert. Das nervt. Das ist auch okay. Doch nach der ersten Genervtheit heißt es erstmal: Atmen. Tiiiief durchatmen. Und dann akzeptieren: Du bist nicht für alles auf dieser Welt verantwortlich. Manches kannst du nicht beeinflussen. Wenn du kurz zurücktrittst und achtsam beobachtest, was eigentlich gerade los ist, kann diese Erkenntnis die Nerven sehr gut beruhigen. Du kannst zwar eine kleine oder große Revolution beginnen – ich bin immer eine Freundin von Rebellion! – doch oft hilft es vor allem, anzunehmen und zu akzeptieren, dass manche Dinge so sind, wie sie sind. Dass die Rückbildung nach dem zweiten Kind vielleicht wirklich zwei Jahre dauert. Dass der geniale Roman-Dialog vielleicht gerade nicht aufgeschrieben werden kann, weil die Kita schließt. Davon geht die Welt nicht unter. Im Gegenteil: Wenn man sich Zeit lässt und Zeit gibt, wird es manchmal noch viel besser. Nach zwei Jahren sanftem Training kann man dann besseren Gewissens wieder lospowern. Und der Dialog arbeitet im Kopf weiter und wird nach fünf Stunden noch viel besser. Es ist wie mit der schlagfertigen Antwort auf einen blöden Spruch: Die kommt ja auch immer erst viel später. Gut Ding will Weile haben. (5 Euro ins Phrasenschwein, danke schön!)

"Zum Glück muss ich nicht jeden Tag so leben, als wäre es mein letzter"

Von außen bekommen wir oft vermittelt, dass wir schnell alles umsetzen sollten: Carpe Diem! Lebe den Tag! Nutze deine Chance! Geh raus! Geh nach vorn! JETZT! NOW!

Jemand sagte mir mal in einer herrlich norddeutsch-trockenen Gelassenheit: „Zum Glück muss ich nicht jeden Tag so leben, als wäre es mein letzter.“ Ich musste laut lachen, weil es meine Gedanken und meine Learnings aus den letzten Jahren so gut zusammenfasste. Nee, manchmal ist nicht viel los. Manchmal hast du das Gefühl, nicht voranzukommen oder gar nicht so recht zu wissen, wo es langgeht. Ich hatte diese Phase auch im letzten Jahr. Und das ist okay. Irgendwo wird sich eine Tür öffnen, die wieder alles verändert. Ein Mensch, ein Job, ein Ort, irgendetwas kommt in dein Leben und sorgt für neue Gedanken. Aber dieser Moment lässt eben manchmal auf sich warten. Das anzunehmen und zu akzeptieren ist unfassbar schwierig, vor allem für Menschen wie mich. Aber wenn man die Langstrecke geschafft hat, ist es großartig, über die Ziellinie zu laufen. Daran versuche ich mich zu erinnern, wenn die Ungeduld sich wieder meldet. Im Winter denkt man auch oft, dass sämtliche Pflanzen erfroren sind. Monatelang kein Anzeichen von Lebendigkeit. Bis in den April sieht alles tot und kahl aus. Den Blumen ist es egal, wenn alle sagen: "Wenn morgen die Welt untergeht, haste aber nicht mehr geblüht." So what. Es ist, wie es ist.
Und dann, plötzlich, sprießt es wieder. Ende April, Anfang Mai ist alles saftig grün, nur wenige Wochen später ein blühendes Paradies. Die Natur braucht Zeit. Wir brauchen Zeit. Es ist nicht nur normal, sondern wichtig, Phasen zu haben, in denen wir nicht blühen. Wir heilen, wir sammeln uns – und wir nehmen Anlauf. The best is yet to come.

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