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Alle sind toll. Und du?

Die Bekannte postet ihre neue Homepage, auf der all ihre fantastischen Projekte gesammelt sind. Danach ein Bikini-Foto einer Kollegin, die Urlaub auf Bali macht (und natürlich top in Form ist). Es folgt ein Babyfoto, unter dem verlinkt wird, woher der tolle (und unfassbar teure) Wolle-Seide-Body gekauft wurde. Ein Reise-Schnappschuss von einer Bekannten, die gerade zwei Monate im Bulli durch Europa tourt, Elternzeit auskosten. Ein Runtastic-Screenshot vom 15-Kilometer-Lauf vom Nachbarn. Und dann noch eine lange Story einer Influencerin, in der sie eindringlich erklärt, wieso man Plastik meiden sollte und wie es besser gehen kann.

Instagram. Die Wiege der Selbstzweifel.

Wenn andere alles besser machen

Wie schaffen die das, sich neben dem Job weiterzubilden, Sport zu treiben, ihr Brot selbst zu backen, süße Kinder zu haben und eine funktionierende Ehe zu führen? Und dann haben die auch noch jeden Tag perfekt liegende Haare, das ist doch eine Frechheit! Da schaut man selbst in den Spiegel, denkt sich: Duschen, mit Haarewaschen, das wäre mal ein Plan. Und Sport könnte ich auch mal wieder machen. Aber wann?

 

Und dann die Engagierten. Sie haben recht, das ist ja das Schlimme. Wenn ich sehe, was wir an Plastik verbrauchen und das hochrechne auf unsere Straße, unsere Stadt, unser Land, dann läuft es mir kalt den Rücken runter. Muss ich jetzt 45 Minuten in den Unverpackt-Laden fahren? In „meinem“ Supermarkt sind die Tomaten in Plastik verpackt.

 

Unsere Elternzeit beinhaltet übrigens keinen mehrwöchigen Europa-Trip. Wir haben keinen Bulli und werden auch keinen leihen. Ich habe neulich zu meinem Mann gesagt, dass ich manchmal auch gern so einen Trip machen würde. Und er sagte: „Um dann zu merken, dass man auch bei einem Europa-Trip acht Mal am Tag wickeln muss und nachts nicht schlafen kann?“ Er hat ja recht. Außerdem sind wir umgezogen und genießen Haus und Garten. Aber dann sehe ich wieder einen Familien-Reiseblog und frage mich: Hätten wir das auch machen sollen?

Wir wollen immer das, was wir gerade nicht haben

Durch Social Media Portale wird der ständige Vergleich mit anderen extrem gepusht. Selbst wenn wir alleine zuhause sitzen, mit niemandem sprechen, scrollen wir durch die Timeline und werden gestichelt. Wer einen unerfüllten Kinderwunsch hat, bekommt runde Bäuche vor die Nase gesetzt. Wer im Job das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten, liest, dass ein guter Freund auf einer coolen Konferenz als Speaker eingeladen ist. Wir sehen genau das, was wir selbst gern hätten. In meiner frühen Jugend wollten die Mädchen mit Locken gern glatte Haare und die Mädchen mit glatten Haaren gern Locken haben. Später hat man sich mit seiner Frisur meist abgefunden, doch dieser Wunsch, immer genau das zu wollen, was man gerade nicht hat, bleibt. Wer in der Stadt lebt, will aufs Land. Wer auf dem Land lebt, vermisst die Stadt. Eltern denken: So eine Auszeit ohne Kind wäre schon schön. Nicht-Eltern denken: Ein Kind wäre unser größtes Glück. Als Single denkt man: Ich hätte so gern eine*n Partner*in. In einer Beziehung denkt man: Dieses Kribbeln beim Daten und die Unabhängigkeit des Alleinlebens haben auch ihren Reiz.

Das heißt übrigens auch, dass man selbst Neid verursacht. Eine Freundin sagte mir neulich: „Du bist Mutter und selbstständig, hast sehr schnell wieder angefangen zu arbeiten, es läuft super, du hast ein Haus, einen tollen Ehemann und hast schon kurz nach der Geburt in deine alten Jeans gepasst.“ Wie, das bin ich? Klingt viel zu gut. Weil es eben nur eine Außensicht ist und all meine Emotionen, Zweifel und Ängste außer Acht lässt. Doch genauso schauen wir auch auf andere. Von außen. Ohne zu sehen, was dahintersteckt.

Man muss auch jönne könne

Der Ausweg, klar, haben wir alle von gelesen: mehr Dankbarkeit, Achtsamkeit, Meditation. Ein Dankbarkeits-Tagebuch beispielsweise könne helfen. Wenn man allerdings vier Tage nichts reinschreibt und die Meditations-App im Alltag wieder vergisst, hat man schon wieder ein schlechtes Gewissen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Und davon hat man ja wirklich schon genug. Diese Methoden klappen bei mir und wahrscheinlich auch bei vielen anderen nicht so richtig, da wir sie nicht konsequent durchziehen.

 

Ich persönlich schaffe es auch nicht, den Vergleichen auszuweichen. Ich müsste alle Apps löschen. Und selbst dann würde es in Gesprächen mit Freundinnen und Freunden passieren, dass man denkt: Okay, da läuft ja irgendwie alles toller. Der ist entspannter, die ist engagierter, die haben eine tollere Hochzeit. Ich versuche inzwischen vier Dinge:

 

1. Ich freue mich für die anderen, ohne sofort an mich selbst zu denken. Gerade meinen Freundinnen und Freunden gönne ich doch nur das Beste. Ich will, dass sie glücklich sind, dass sie tolle Urlaube machen, viel Geld verdienen und tolle Beziehungen führen. Man muss auch jönne könne, sagt man doch. Also: Schluss damit, alles auf mich zu beziehen, sondern einfach mal von Herzen für die anderen freuen.

 

2. Realistisch bleiben. Wenn ich den Eindruck habe, dass bei anderen irgendwie alles perfekt läuft, erinnere ich mich daran, dass das garantiert nicht stimmt. Wie man Mann sagte: Auch im Bulli wird acht Mal gewickelt. Und dabei ist es wahrscheinlich deutlich unbequemer als am heimischen Wickeltisch.

 

3. Statt mich schlecht zu fühlen oder die anderen zu verurteilen, weil sie prahlen, versuche ich, meine Emotionen als Ansporn zu sehen. Die wird als Speakerin gebucht? Mega. Das will ich auch. Also los! Nachfragen, wie das funktioniert, was man beachten sollte, Kontakte aktivieren, reinhängen. Die soziale Piekserei kann ja durchaus ein Tritt ins Popöchen sein.

 

4. Wenn mich bei Facebook oder Instagram jemand wirklich mit "Schaut mal, wie toll mein Leben ist, wie reich ich bin und was ich alles habe"-Posts bzw. -Stories nervt und negative Emotionen in mir verursacht, entfolge ich dieser Person einfach. Klick, weg. Das ist der Vorteil der Social Media Welt: Man kann selbst entscheiden, welche Kanäle man als inspirierend empfindet und welche nur unnötig Druck machen.

Öffnet euch!

Es gibt wenige Menschen, die ehrlich erzählen, was sie wirklich beschäftigt. Jeder will sich so gut wie möglich darstellen, online und offline. Das ist dann leider meist das übliche Bullshit-Bingo. Und Instagram ist ein unterhaltsames Bilderbuch, kein packender Roman. Interessant wird es, wenn wir uns verletzlich zeigen. Von unseren Zweifeln berichten. Von unserem schlechten Gewissen, weil so viel so anders läuft, als wir es gern hätten. Und von unseren Erfahrungen, den guten und schlechten, den vorbildlichen und peinlichen, die uns zu dem Menschen machen, der wir sind. Denn wenn wir wissen, dass bei anderen auch manchmal der Wurm drin ist, können wir uns vielleicht auch selbst wieder liebevoller betrachten. Weil wir endlich aufhören, uns mit perfektionierten Scheinbildern zu vergleichen.

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