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Viva la Vulva und Period Pride: Wieso es mir manchmal zu viel wird

In den Sozialen Medien und größtenteils auch in meinem privaten Umfeld bewege ich mich in einer Blase. Die Menschen sind gebildet, sehr feministisch, aufgeklärt, gutverdienend oder zumindest finanziell abgesichert. Und wie das so ist: Man findet gut, was die Blase macht. Doch es gibt immer wieder Bilder, von denen ich eher genervt bin: 1. Vulva-Zeichnungen, 2. Periodenblut, 3. diverse Frauen in Unterwäsche als feministisches Statement. Eine Freundin fragte mich, wieso mich diese Bilder nerven. Denn eigentlich würde ich alle Aussagen, die diese Bilder machen, doch sofort unterschreiben. Und ich kam ins Nachdenken. Für euch versuche ich mein Gedankenchaos zu ordnen.

Viva la Vulva.

In meiner Schulzeit wurden überall Penisse hingeschmiert. Es gab das „Penis“-Spiel, bei dem man immer lauter „Penis“ sagen musste. Man munkelte, dass es „Schwanzvergleiche“ unter den Jungs gab. Die Geschlechtsteile von Jungs waren wahnsinnig präsent. Eine Vulva hingegen existierte nicht öffentlich. Wenn mal über „Muschis“ geredet wurde, dann nur von den Jungs, und es gab dumme Sprüche, dass es „da unten“ nach Fisch rieche. Klar, dass da Scham entsteht. Klar, dass Mädchen verunsichert sind. Deshalb sollten wir endlich die Vulva normalisieren. Damit auch weibliche Geschlechtsteile präsent sind, damit auch Mädels Bock haben, sich mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen und nicht verschämt die Beine zusammenkneifen, während Jungs fröhlich mit ihrem „besten Stück“ (allein diese Bezeichnung!) herumwedeln.

Ich find es super, dass über Vulven gesprochen wird. Sex Education und so. Gianna Bacio macht das beispielsweise ganz fantastisch. Doch teilweise ufert es aus, wenn ihr mich fragt. Es gibt beispielsweise Vulven-Ketten und -Shirts. Mal ehrlich: Es ist doch nicht schön, sich ein Geschlechtsteil um den Hals zu hängen oder auf dem Shirt zu tragen. Feministisches Statement hin oder her. Männer tragen doch auch kein T-Shirt, auf dem ein Penis abgebildet ist. Okay, manche schon, ich weiß. Das sind die, die auch Aufschriften wie „FBI – Female Body Instructor“ oder „Bier formte diesen Körper“ lustig finden. Ich möchte nicht zu dieser Gruppe von Menschen gehören.

Ehrlich gesagt fand ich schon als Teenager den ganzen Penis-Quatsch albern und kindisch. Genauso geht es mir nun mit Zeichnungen von Vulven. Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Klar, ich sollte nicht nur von mir ausgehen. Es gibt auf Insta, TikTok und Co. genug 14-Jährige, die das irgendwie anstößig und deshalb irgendwie gut finden. Es geht um Abgrenzung, die Entdeckung des eigenen Körpers und das Ausloten von Grenzen. Dann ist es wichtig, diverse Bilder zu sehen. Aber dass sich nun auch Ü30-Jährige Vulven-Bilder an die Wand hängen, kann ich nicht nachvollziehen.

Period Pride.

Ich hatte lange keine Ahnung, wie so ein Zyklus eigentlich abläuft. Ich dachte immer, Tag 1 des Zyklus sei der erste Tag nach der Blutung. Wrong. Ich dachte lange, dass man immer schwanger werden kann, wenn man nicht verhütet, also dass jeder Tag ein fruchtbarer Tag sei. Wrong. Kurz: Ich war ziemlich uninformiert, was den weiblichen Körper anging. Als eine Freundin sagte, dass sie ihren Eisprung spüre, dachte ich: What? Das kann doch gar nicht sein. Ich wusste nicht, dass das diese Bauchschmerzen in der Zyklusmitte sein konnten. Ja, ehrlich, erst als ich schwanger war, hab ich mich richtig eingelesen und verstanden, was da eigentlich los ist. Inzwischen spüre ich viel mehr und achte stärker auf zyklusbedingte Symptome. Keine Yoga-Umkehrhaltungen während der Periode, Leute!

Es ist erschreckend, dass es sowohl Männer als auch Frauen gibt, die die Blutung als „unsauber“ oder „ekelhaft“ bezeichnen. In Indien dürfen Frauen während der Blutung keine Kühe berühren, da diese heilig sind und eine blutende Frau offensichtlich dieses Heiligtum beschmutzen würde. In Nepal dürfen Frauen während der Periode mit niemandem sprechen, in einigen ländlichen Gebieten Ghanas und Kenias dürfen Frauen bzw. Mädchen während der Periode nicht zur Schule gehen und verpassen dadurch knapp 20% des Schuljahres. What the fuck?! Das ist so erschreckend. Aufklärung ist vor diesem Hintergrund immens wichtig. Die Periode ist ein Zeichen von weiblicher Gesundheit, keine Krankheit.

Und trotzdem ist es mir total suspekt, dass manche Frauen in meiner Bubble Periodenblut zeigen. Jeden Monat mit dem Blut rumzuhantieren, ist zwar normal, aber nicht sonderlich schön, wenn ihr mich fragt. Ohrenschmalz, Stuhlgang und Popel sind auch normal. Will ich trotzdem nicht sehen. Ich finde, dass man offen über Frauengesundheit reden kann, ohne Bilder von Periodenblut zu zeigen. Ich kann auch über Darmgesundheit reden, ohne meinen Stuhlgang zu fotografieren. Und ich kann über Sexualität reden, ohne einen Mitschnitt aus meinem Schlafzimmer zu posten. Ich habe das Gefühl, dass die Grenzen verwischen, an denen Privatheit und Intimität beginnen. Und damit kommen wir zu Punkt 3.

Respect my nudity.

Das ist der schwierigste Punkt für mich. Ich zitiere Anne Dittmann, Journalistin, die ein Bild in Unterwäsche auf Instagram gepostet hat: „Ich glaube aber, dass (…) Frauen sexy und klug sein dürfen. Dass sie Haut zeigen dürfen und gleichzeitig ernst genommen werden. Dass sie nicht die normative ‚maskuline‘ Identität annehmen müssen, um beruflich erfolgreich zu sein. Ich wünsche mir eine Welt, in der ich alles sein kann. Alles gleichzeitig, wenn ich will. Auf meine Art. Fuck Patriarchy! Ich gehe einen neuen Weg. Der mag für manche (noch) nicht sicher sein, für andere wirr scheinen. Aber wieder andere werden mitlaufen, sich bei mir unterhaken. Kommt! Wir legen einen Trampelpfad an. Und anschließend wird betoniert.“

Erster Impuls: Ich möchte laut Hurra rufen. Klingt total nachvollziehbar und richtig. Eine Freundin von mir erzählte sogar, dass sie solche Postings feiert, da sie aus Angst vor Objektifizierung seit Jahren keine „sexy“ Kleidung mehr trage. Die Message kommt also an. Gerade der Hinweis, dass Frauen keine maskuline Identität annehmen müssen, um beruflich erfolgreich zu sein, ist richtig und wichtig. (Genau deshalb liebe ich auch die Bücher von Chimamanda Ngozi Adichie, die das immer wieder betont.) Ich ziehe mich auch gern freizügig an, ich mag Make-up, ich mache mir gern zurecht.

Und trotzdem stört mich etwas an diesen Bildern und den damit verbundenen Aussagen. So ganz sicher bin ich nicht, was es ist. Ich glaube, es sind zwei Punkte. Der erste ist schnell abgehakt: Sexy zu sein heißt für mich nicht nur, sich in Unterwäsche zu zeigen. Das ist für mich eine vereinfachte Sicht. Überspitzt gesagt ist das sogar genau die Sicht, die wir seit Jahrzehnten aus dem Patriarchat kennen.

Der zweite Punkt ist komplizierter. „Das Private ist politisch“, sagt man. Und dass Veränderung immer im Kleinen entsteht. Jede Aktion zählt, um strukturelle Ungerechtigkeiten offenzulegen und abzuschaffen. Ich verstehe diese Aktion. Für mich wird allerdings eine Grenze überschritten. Auf der Straße oder im Büro läuft niemand in Unterwäsche rum. Öffentliche Nacktheit ist nicht „normal“, geschlechtsunabhängig. Ich würde mich freuen, wenn das so bleibt. Denn auch wenn – und gerade weil! – ich stolz auf meinen Körper bin, bin ich froh, dass ich entscheiden kann, wer diesen sehen darf. Es ist mein Geheimnis, wie es unter meinem Shirt aussieht. Und jeder weiß: Exklusivität macht Events zum Highlight. Spaß beiseite: Ich habe das Thema ja schon im Perioden-Teil angerissen. Für mich verwischen die Grenzen der Intimität. Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, bei intimen Bildern von Privatpersonen schnell weggucken zu wollen, weil ich denke: Das geht mich doch gar nichts an. „Du musst ja auch nicht solche Postings machen“, könnte man sagen. Stimmt. Mach ich auch nicht. Aber ich glaube, dass genau das wichtig ist. Zu sagen, dass nicht jeder diesen Trampelpfad mitgehen muss, um strukturelle Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Denn das schwingt mit: „Na los, Frauen, zeigt euch. Zeigt, wie sexy ihr seid, wenn ihr Strukturen ändern wollt.“ Mooooment, das werden zwei Dinge vermischt. Denn bei der Entscheidung, intime Fotos zu posten, geht es meiner Meinung nach nämlich weniger um feministische Ideale, sondern vielmehr um Privatheit und Intimität. Hier sollte jeder seine Grenzen so ziehen dürfen, wie er oder sie will.

Macht doch, was ihr wollt.

Wisst ihr was? Mir ist es eigentlich total egal, ob Vulven, Periodenblut oder (halb-)nackte Feministinnen zu sehen sind. Ich bin nicht dagegen. Wenn es jemandem hilft, sich besser zu fühlen, wenn es gute Laune macht, wenn es das Selbstbewusstsein stärkt: gute Sache, weitermachen. Sowieso ist das Anecken ja immer Aufgabe des Feminismus. Ich finde nur zweierlei Dinge daran wichtig, und deshalb schreibe ich diesen Text:

 

1. Bilder haben Konsequenzen. Es wird nicht nur Zuspruch geben. Man sollte nicht einfach ein Nacktfoto posten und sich dann wundern, dass der Nachbar komisch guckt, die Mutter empört anruft und vielleicht sogar der Chef etwas dazu sagt. Man sollte nicht in den Stories über die Probleme mit der Menstruationstasse philosophieren und sich dann wundern, dass der Kollege grinsend fragt, ob denn heute alles sitzt. Was im Netz ist, sieht nicht nur die Bubble. Jede*r darf posten, was er/sie will. Aber über mögliche Konsequenzen eines weniger aufgeklärten, weniger feministisch denkenden Publikums sollte man sich vorab Gedanken machen. Nicht jeder hat das dicke Fell, das dabei hilft, mit dieser Kritik umzugehen – und das ist okay.

 

2. Auch wenn ich mich von Vulven, Periodenblut und Unterwäsche-Bildern nicht abgeholt fühle und solche Bilder selbst nicht poste, heißt das nicht, dass ich das Patriarchat untermauere. Man muss das nicht machen. Man muss sich nicht in Unterwäsche zeigen, um authentisch zu sein. Man muss kein blutiges Klopapier zeigen, um sich dafür einzusetzen, dass mehr über Frauengesundheit gesprochen wird. Man kann mit anderen Mitteln kämpfen und seine ganz eigenen Grenzen von Intimität und Privatheit wahren. Es ist legitim, dass es gewisse Dinge im Leben gibt, die den Rest der Welt nichts angehen.

 

P.S.: Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass meine Sicht nicht die Sicht aller ist. Aber statt die immer gleiche Bubble-Denke abzufeiern, finde ich es wichtig, ab und zu dieses Zucken im Denken wahrzunehmen, hinzugucken und Dinge zu hinterfragen.

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