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„Die Happiness-Lüge“ – Drei Jahre später

"WHAT, du veröffentlichst ein Buch? Kraaaaaass!" 2020 hatte ich meinen ersten Buchvertrag in der Tasche und war stolz wie Bolle. Und das bin ich auch immer noch, na klar. Nicht zuletzt, weil es der Anstoß zu einem neuen Berufsweg war. Aber ich bin jetzt mal ganz ehrlich: Heute würde ich dieses Buch völlig anders schreiben. Und da ich mein Herz ja bekanntlich auf der Zunge trage, habe ich beschlossen, euch einfach mal von diesen Gedanken zu erzählen. Aber beginnen wir von vorn.

Die Entstehungsgeschichte.

2020. Die Corona-Pandemie hat uns alle in den unterschiedlichsten Lebenssituationen getroffen. Mir kam nach wenigen Monaten die Idee zu einem Buch über toxische Positivität – und ich bekam die Zusage. Mein erstes Buch. Meine Güte, war ich aufgeregt. Ich war völlig aus dem Häuschen. Alle Vorschläge des Verlags nahm ich dankbar an, sagte ja, als es hieß, dass der Text sehr persönlich sein solle, sagte ja, als die Presse- und Klappentexte kamen, sagte (vielleicht zu oft) ja, weil ich dachte: „Ich hab doch keine Ahnung und bin für jeden Tipp dankbar.“ Es war mein erstes Buch. Und es musste schnell fertig werden, weil bei diesem Thema eine frühestmögliche Veröffentlichung wichtig sei. Gerade einmal drei Monate habe ich geschrieben.

Die Reaktionen.

Die Presse hat sich auf dieses Thema gestürzt. Ich war im Fernsehen, im Radio, in Zeitungen, Zeitschriften, auf zahllosen Webseiten. It’s been one hell of a ride. Ich habe irre viel gelernt, im positiven wie im negativen Sinne. Habe gemerkt, dass ich nicht so gern im Rampenlicht stehe, wie ich dachte. Dass ich nach einem Live-Auftritt nicht voller positiver Energie, sondern total ausgelaugt bin. Zudem war ich unsicher. Und zeitweise beschämt. Negative Bewertungen trudelten ein. Trafen mich mehr, als ich wollte. Wenn da stand, dass dieses Buch wohl eher eine Autobiografie sei, dachte ich nur: Um Gottes Willen, was denken die Leute denn von mir? Dass das mein ganzes Leben ist? Ich bekam eine Idee davon, wie es sein muss, eine Person des öffentlichen Lebens zu sein und sich völlig missverstanden zu fühlen. Und war plötzlich sehr dankbar, dass ich kein Popstar geworden bin, obwohl ich es mir mit 13 soooo sehr gewünscht hatte.

Die letzten Jahre.

Im Laufe der Pandemie und im Laufe der letzten fast drei Jahre, die viele lebensverändernden Momente mit sich brachten, hat sich viel in mir bewegt. Ich habe viel in mir bewegt. Auch hinsichtlich des Buches. Würde ich es heute noch einmal schreiben, würde ich sicherlich einige Stellen genauso wieder schreiben (toxische Positivität nervt mich immer noch). Andere aber nicht.

Was ich heute anders sehe.

Ich will deshalb diesen Artikel nutzen, um ein paar Dinge einzuordnen. Dieses Internet gibt uns ja glücklicherweise die Möglichkeit. Folgende Themen sehe ich heute anders:

 

1. Ich würde das Buch weniger persönlich schreiben. Zwar mag ich persönliche Anekdoten und finde es großartig, wenn Menschen ihre Verletzlichkeit teilen. Dehalb tue ich das auch gern. Doch ich gebe Kritiker*innen recht, die beklagen, die Tonalität sei zum Teil geradezu „larmoyant“, also jammernd, voller Selbstmitleid, weinerlich. Das fand ich hart zu lesen, weil es a) stimmt (wenn man das Buch aus dieser Perspektive liest) und b) überhaupt nicht stimmt (wenn man mich kennt). Ja, ich jammere ab und zu – weil ich ein Mensch bin. (Okaaaay, manchmal bade ich auch kurz in Selbstmitleid, aber hey, dann pack ich's auch wieder an.) Aber ich bin auch ziemlich resilient und stark. Ich bin kein kleines Mädchen, sondern eine gestandene Frau, die schon viel mitgemacht hat, die sehr gewachsen ist, sich verändert hat und sich zunehmend besser reflektiert. Und: Ich werde immer wieder als „Sonnenschein“ bezeichnet, weil ich so viel lächle und Humor für mich so wichtig ist. Kriegste im Buch halt wenig von mit. Thematisch bedingt.

2. Meine Kritik an Coaches war im Buch undifferenziert. Ich sehe nach wie vor die Szene sehr kritisch und glaube, dass es einige Menschen gibt, die vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht sind, aber ich weiß auch, dass es fantastische Coaches gibt, die eine großartige Arbeit machen und wirklich viel in Menschen bewegen (und die sogar diese Klopftechnik so drauf haben, dass sie etwas bewirkt). Augen auf bei der Coach-Suche und dann: Ab dafür.

 

3. Genauso glaube ich, dass man auch Dinge wie Vision Boards und Dankbarkeitstagebücher nicht pauschal abbügeln sollte, so wie ich es vielleicht mit einem gewissen Zynismus getan habe. In solchen Techniken kann viel Gutes stecken, wenn sie richtig angewendet und begleitet werden. Weder ist es richtig, dass es das eine Geheimnis zum großen, persönlichen Glück gibt, noch ist es richtig, dass all diese Ansätze, die für mehr Zufriedenheit sorgen können, totaler Schwachsinn sind. Positives Denken ist nicht per se toxisch. Die unterschiedlichen Perspektiven habe ich möglicherweise zu wenig beleuchtet.

 

4. Ich hätte für das Buch noch mehr andere Bücher lesen können. Die Zeit war so knapp, und dann war ich auch noch hochschwanger. Ich hätte sagen können: „Wenn es richtig gut werden soll, brauche ich sechs Monate länger. Wollt ihr es trotzdem machen?“ Und dann hätte der Verlag Ja oder Nein sagen können. Doch das habe ich nicht getan. Ich dachte, dass ich meine Chance nun nutzen müsse. Ich habe mich beeilt – mit dem Ergebnis, dass ich viele schlaue Gedanken, die mich seitdem inspiriert haben, liegen gelassen habe. (Aber so ist es immer. Es ist dieser Effekt, dass einem die schlagfertigen Reaktionen immer abends im Bett einfallen. Kennste, oder?)

5. Ich habe in dem Buch immer wieder betont, dass nicht allein das Mindset für die innere Zufriedenheit zuständig ist, sondern dass auch die äußeren Umstände entscheidend sind. Dass es beispielsweise für eine gut situierte Managerin leichter ist, „positiv zu denken“, als für deinen Menschen, der unterhalb der Armutsgrenze lebt und von intersektionaler Diskriminierung betroffen ist. Und ja, das sehe ich immer noch so. Wir können strukturelle Probleme nicht weglächeln. Wir können von Menschen, die in existenziellen Nöten sind und dringend Geld verdienen müssen, nicht erwarten, dass sie sich gegen einen Job entscheiden, nur weil dieser nicht ihren Werten entspricht.

Nichtsdestotrotz habe ich verstanden, dass unser „Circle of Influence“ (nach Stephen Richards Covey) ziemlich entscheidend dafür ist, wie wir uns fühlen und ob wir die Energie und den Mut haben, Dinge anzupacken. Denn zu verstehen, dass wir zwar nicht alles, aber durchaus unsere Gedanken, Entscheidungen und Haltungen beeinflussen können, ermöglicht es, eine gewisse Souveränität zu erlangen. (Souveränität ist eh der heilige Gral, by the way.) Und das nennt man dann wohl Mindset.

 

6. Ein Gedanke ist in den letzten Jahren immer wichtiger für mich geworden, der all diese Ansätze für mich nochmal neu einordnet: Alles hat einen Preis. Oft wird suggeriert, dass du "einfach nur" dies oder jenes tun oder lassen sollst, damit du "endlich glücklich wirst". Das kann man glauben oder dem widersprechen. (Ich neige zu letzterem, wie ihr wisst.) Doch eigentlich müssen wir über den Preis sprechen, und ich meine nicht nur den finanziellen. Die Nebenwirkungen, die jede Entscheidung nach sich zieht. Wenn du authentisch leben willst, wirst du vielleicht geliebte Menschen vor den Kopf stoßen. Wenn du einen Job ablehnst, weil die Firma nicht nachhaltig wirtschaftet, wirst du vielleicht ein gutes Gewissen haben, aber in finanzielle Probleme geraten. Am Ende ist es eine Abwägung, die du bewusst für dich treffen musst und die höchst individuell ist. Es gibt nur seeehr selten den einfachen Weg, bei dem alles gut ist. Und erst recht nicht den einen, der für alle passt. Da sind wir wieder beim Circle of Influence – du kannst dich entscheiden, welchen Preis du bereit bist, zu zahlen. Und wo du dich gegen auflehnen willst. Es ist okay, dass du nicht jeden Preis zahlen möchtest. Solange du diese Entscheidung bewusst triffst, machst du sie zu deiner.

 

Wo ich heute stehe.

„Ich habe das Gefühl, dass ein Mädchen das Buch geschrieben hat, und heute steht eine Frau vor mir“, sagte mir kürzlich jemand. Die letzten Jahre haben mich verändert. Die Happiness-Lüge hat mir Türen geöffnet und Menschen in mein Leben gespült, die ich nicht mehr missen will. Ich habe inzwischen mehrere Bücher als Ghostwriterin / Co-Autorin geschrieben und bin unglaublich dankbar, dass sich mein beruflicher Fokus in diese Richtung verschoben hat. Und ich sag mal so: The best is yet to come! Deshalb blicke ich nicht in Reue zurück. Denn es war der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Die Happiness-Lüge war nicht perfekt, aber ein Anfang von etwas Neuem. Das Schöne daran: Niemand ist perfekt. Und diese Risse in der Fassade der Perfektion lassen uns wachsen.

 

„There is a crack, a crack in everything / That's how the light gets in“ (Leonard Cohen)

Was ich gelernt habe.

Ich weiß, dass Autor*innen dazulernen, sich verändern, wachsen. Ildiko von Kürthy beispielsweise bewundere ich sehr, und ich bin mit ihren Romanen und den sich wandelnden Themen gewachsen. Doch auch sie würde heute vermutlich nicht mehr einen Roman wie „Mondscheintarif“ schreiben. Und ich weiß auch nicht, ob ich das Buch heute noch so gut wie damals finden würde. Vermutlich nicht. Und das ist normal. Wir verändern uns. Wir denken mit 20 über andere Dinge nach als mit 35, 45 oder 50. Autor*innen geht es genauso. Und das ist großartig, denn so können wir alle gemeinsam dazulernen und wachsen. Ich werde nach meiner eigenen Erfahrung definitiv nicht mehr aufgrund eines Buches die gesammelten Werke einer Autorin oder eines Autors feiern oder ablehnen Kurz: Nach dieser Erfahrung bin ich wieder ein bisschen weiter vom Schubladendenken weg.

 

Macht’s euch schön, ihr Hasen! Good Vibes Only! (Gnihihi, der musste sein.)

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